Wird die Entwicklung der Liebesfähigkeit behindert?

Faburin

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27 Mai 2011
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Hallo, zusammen!

Ich möchte mit Euch eine Frage erörtern, die mich seit Jahren beschäftigt. Da ich hinsichtlich der Beantwortung abermals einen toten Punkt erreichte, wende ich mich mit der Bitte an Euch, zu diskutieren, was Ihr darüber denkt. Ich möchte betonen: Ich starte dieses Thema nicht, um von Euch getröstet zu werden, zumal es mir gerade bezogen auf dieses Thema recht gut geht. Es zieht mich also nicht herunter. Ich sehne mich nach intellektuellem Input Eurerseits.

Ausgangspunkt meiner Überlegung ist Folgendes: Ich befinde mich gerade am Ende meines Studiums der Rechtswissenschaft. Um ein ordentliches Ergebnis zu erzielen, sehe ich mich dazu gezwungen, viel Zeit und Energie mit der Akkumulation juristischen Fachwissens zuzubringen. Gemeinhin wird dies auch (Bulimie-)Lernen genannt. Mir stellt sich dabei seit langem die Frage nach dem Sinn: Mit Abschluss des Studiums erhalte ich ein Diplom. (Dieses Diplom ist im Sinne von § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz ein Verwaltungsakt :D Das musste ich jetzt so schreiben.) Dieser Verwaltungsakt berechtigt mich nun dazu, meine begrenzte Lebensenergie auf eine andere Art und Weise als bisher zu verkaufen. Schließlich wird es mir möglich sein, irgendeine juristische Dienstleistung zu verkaufen. Ich darf also mit Rechtsfiguren herumspielen.

Ich stellte bloß kurz meine persönliche Situation zum besseren Verständnis dar. Meine Frage indes ist völlig lösgelöst von einem spezifischen Beruf. Unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist so organisiert, dass jeder auf irgendeine Art und Weise auf Geld angewiesen ist, um das eigene wirtschaftliche Überleben (mit einigen Annehmlichkeiten des Lebens) sicherzustellen. Viele gelangen zu Geld, indem sie ihre Arbeitskraft verkaufen, weil sie nicht das nötige Kapital haben, um vom Arbeitsmarkt unabhängig zu sein. Ich möchte mit diesem Thema nicht eine Diskussion insoweit starten, als Arbeit nur etwas für die Dummen unter uns sei. Ich bin ganz im Gegenteil davon überzeugt, dass der Mensch arbeiten muss, um ein sinnerfülltes Leben führen zu können. Dazu möchte ich den Begriff "Arbeit" definieren, wie ich ihn verstehe: Nach meinem Verständnis braucht der Mensch ein Objekt außerhalb seiner selbst, dem er sich vollends hingeben kann, in dem er aufblüht, in das er zeitweise eintauchen kann, ja vielleicht sogar mit ihm ein Stück verschmelzen kann. Was dieses Objekt ist, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Diese Form der Hingabe erreicht der Mensch nun, indem er mit dem Objekt arbeitet. Arbeit ist also nach diesem Verständnis etwas Positives.

Ich behaupte, das wichtigste Objekt der menschlichen Arbeit ist die Liebe, sei es zu sich selbst oder zu anderen Menschen. Jeder Mensch möchte leben, möchte wachsen, möchte lieben, möchte seine Liebesfähigkeit zur Vollkommenheit bringen. (Erich Fromm behandelt in seinem Meisterwerk "Die Anatomie der menschlichen Destruktivität" äußerst schafsinnig die existentiellen Bedürfnisse des Menschen und die verschiedenen in seinem Charakter verwurzelten Leidenschaften.) So fühle ich ganz deutlich, dass ich leben möchte, wachsen möchte, lieben möchte, meine Liebesfähigkeit zur Vollkommenheit bringen möchte.

Wie dies mit einer Erwerbsarbeit zu vereinbaren sein soll, ist mir nicht ersichtlich: Ziel jeder Erwerbsarbeit ist es im Rahmen eines Tausches ein Äquivalent (meistens in Form von Geld) zu bekommen. Der Tausch Arbeitskraft gegen Geld ist für den sog. Arbeitnehmer betriebswirtschaftlich gesehen ziemlich ungünstig, weil Geld einfach beschafft werden kann. Der sog. Arbeitnehmer kann indes nur seine Arbeitskraft und die dafür notwendige Zeit verkaufen. Verbrauchte Lebensenergie und vor allem verbrauchte Zeit können allerdings nicht einfach so beschafft werden. Insbesondere kann ich nicht in den Supermarkt gehen und mir dort mit Geld eine Packung "Zeit deluxe" kaufen. (Ich kann also Zeit und Lebensenergie gegen Geld tauschen, nicht jedoch Geld gegen Zeit und Lebensenergie. Die Umwandlung von Zeit und Lebensenergie in Geld ist also unumkehrbar. Das Geld abstrahiert also die Zeit und die Lebensenergie und speichert sie dann in Form von Papierschnitzeln.) Geld ist leicht verfügbar, Lebensenergie und Zeit sind hingegen ein knappes Gut. Nach dem gewöhnlichen betriebswirtschaftlichen Verständnis steigt der Preis, wenn etwas knapp ist und die Nachfrage danach besteht. So gesehen ist es saublöd, wenn ich die knappen und damit wertvollen Güter Lebensenergie und Zeit gegen im Überfluss vorhandenes und damit wertloses Geld eintausche.

Gerade verbrauche ich einen wesentlichen Teil meiner Energie für das Lernen. Später werde ich wohl irgendeiner Erwerbsarbeit nachgehen, die wiederum viel Energie verbrauchen wird. Wenn ich nun wenigstens ein Drittel des Tages für die Erwerbsarbeit aufbringe, um mein nacktes wirtschaftliches Überleben sicherzustellen, welche Energie bleibt mir dann noch übrig, um mich den Fragen meiner menschlichen Existenz stellen zu können? Wie kann ein erschöpfter Mensch sich noch mit den existenziellen Fragen des Menschen auseinandersetzen? Schon jetzt während des Lernens kann ich mich kaum mit meiner Liebesfähigkeit befassen, weil ich zu erschöpft bin. Wie entwickele ich meine Liebesfähigkeit zur Vollkommenheit, wenn ich einen Teil des Lebens eines anderen Menschen verwalte, indem ich ihm eine juristische Dienstleistung verkaufe? Was trägt der oben beschriebene Verwaltungsakt zu meiner Entwicklung als Mensch bei? Wie werde ich dadurch ein besserer Mensch? Wie entwickelt ein Ingenieur seine Liebesfähigkeit zur Vollkommenheit, wenn er eine Brücke baut? Wie entwickelt ein Müllmann seine Liebesfähigkeit zur Vollkommenheit, wenn er den Schmutz anderer Leute einsammelt? Wie entwickelt eine Büroangestellte ihre Liebesfähigkeit zur Vollkommenheit, wenn sie Akten abheftet?

Ich freue mich auf Eure Antworten.
 
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Mir stellt sich dabei seit langem die Frage nach dem Sinn: Mit Abschluss des Studiums erhalte ich ein Diplom.
Ich freue mich auf Eure Antworten.

Lieber Faburin!

Deine Fragen sind gut - der Zeitpunkt der Fragestellung jedoch falsch.

Wenn Du ein Studium durchziehen möchtest, darfst Du Dir genau solche Fragen nicht stellen, sonst läufst Du Gefahr, das Studium abzubrechen. NACH dem Diplom bleibt auch noch Zeit dafür, Antworten zu finden.

Je mehr Du Deinen Focus auf solche essentiellen Fragen richtet, desto mehr Motivation ziehst Du vom Studium ab.

Waren so meine Gedanken dazu,

liebe Grüße
Reinfriede
 
Vielen Dank für Deine Gedanken, Reinfriede!

Deine Fragen sind gut - der Zeitpunkt der Fragestellung jedoch falsch. (...) NACH dem Diplom bleibt auch noch Zeit dafür, Antworten zu finden.

Ich bin ein Mensch und als solcher ist meine Menschlichkeit untrennbar mit mir verbunden. Sofern nun die Entwicklung der Liebesfähigkeit, was Du offenbar nicht bestreitest, das wesentliche Element der Menschlichkeit ausmacht, gibt es keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt, weil diese Frage der ständige Begleiter eines jeden Menschen ist. Überdies bin ich geneigt, jeder auch noch so trivialen Situationen irgendwie einen Sinn abzugewinnen. Ich glaube also nicht, dass Dein Argument weiterführt.

Wenn Du ein Studium durchziehen möchtest, darfst Du Dir genau solche Fragen nicht stellen, sonst läufst Du Gefahr, das Studium abzubrechen.

Diese rein technische Frage liegt bereits hinter mir, weil ich bereits vor einem Jahr kurz davor war, es zu beenden. Es mag zutreffen, dass jeder Mensch mit einer anderen Veranlagung geboren wird und für jeden ein anderer Beruf daher auf technischer Ebene besser geeignet sein mag oder eben nicht. Ich beschloss, mein Studium zu Ende zu bringen, weil es überhaupt keine Rolle spielt, auf welche Art und Weise ich mein wirtschaftliches Auskommen sicherstelle. Die meisten beruflichen Tätigkeiten sind rein technischer Art, dienen ausschließlich der Anhäufung von Geld, sind daher völlig sinnentleert und weisen keinerlei Bezug zu den höheren und mächtigen Antriebskräften des Menschen auf. Diese Tätigkeiten richten sich ausschließlich auf die Verwaltung eines bestimmten Lebensbereichs eines Menschen. Wessen Lebensbereich ich verwalte und wie ich dies tue, kümmert mich nicht, solange ich dadurch meine materielle Existenz sicherstellen kann. Insofern bin ich, wie Du anregst, völlig pragmatisch.

Je mehr Du Deinen Focus auf solche essentiellen Fragen richtet, desto mehr Motivation ziehst Du vom Studium ab.
Ja, da ist wohl wahr. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als eiskalt pragmatisch zu handeln, wie Du dies forderst. Ich werde also diese Gedanken abermals beiseite schieben (müssen). Allerdings fällt mir dies auch zunehmend schwerer, weil ich diese Durchhalteparolen à la "Steh auf, wenn du Schalker bist!" nicht mehr hören kann. Diese sind so unendlich stumpfsinnig.
 
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Hi Faburin,

ich kann dir nur meine "Lösung" für diese deine Fragen sagen - ich hatte jahrelang selbst und ständig gearbeitet um mein ÜberLeben ab zu sichern - dann wurde ich arbeitslos - jaja, ich lebs oft einfach in Extremen ;-)

In der Zeit jetzt hab ich für mich überprüft, was - nur allein für mich - stimmig ist - ok - ich MUSS irgendwas arbeiten um zu überleben - oder weiterhin vom Staat anhängig sein und mich von sinnentleerten Maßnahmen quälen lassen - aber ich für mich hab jetzt meinen Kompromiss gefunden:

Ich hab einen Teilzeitjob von 22 Stunden - das geht sich aus, dass die Fixkosten gedeckt sind und ich auch ab und zu was zum Essen einkaufen kann -und in der restlichen Zeit kann ich tun und lassen, was mir beliebt.

Da eine Woche
168 Stunden hat

ich 3x die Woche noch 2 Stunden für Fahrt dazurechnen muss, was unter "Arbeit" fällt, also noch 6 Stunden zu den 22 dazu - ergibt 28, die ich für "Arbeit" aufwende - bleiben mir

140 Stunden pro Woche für das, was mir Spaß macht - inkl. schlafen.

Ich gesteh, dieses Verhältnis gefällt mir - und drum tu ichs - unabhängig davon, dass meine ganze Umgebung meint, ich müsste als alleinstehende Frau mit einem kreditbelasteten Haus ganztags arbeiten ;-)
 
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