Liebe Cailly,
wenn man Schmerzen hat oder man gesundheitlich nicht fit sind, ist es schon so, daß die normalen alltäglichen Belastungen zuviel sind und dann baut sich oft so ein Druck auf, was alles noch notwendig ist. Da ist es schwer raus zu kommen. Die finanziellen Dinge sind mir immer leicht gefallen, obwohl ich oft auch wenig hatte. Es ist halt so, daß wenn man Geld nicht als Ersatzbefriedigung für irgend etwas nimmt, das man mit weniger zufrieden ist.
Bei Schmerzen und Krankheit ist es schwierig, den Blick auf was positives zu lenken. Ich habe ein Buch gelesen von jemanden der Kinderlähmung hat und wie er es geschafft hat bei minimaler Beweglichkeit bei schwierigsten körperlichen Zuständen sich Freude und geistige Beweglichkeit zu erhalten. Es war echt beeindruckend und ich hätte dies nie gekonnt. Schon als ich eine Zeit nur mit Gehhilfen laufen konnte, war es ziemlich schwierig.
Ich glaube eigentlich nicht, daß es an Dingen oder Begebenheit mangelt über die du Dich freuen kannst. Ich kenne es so, daß ich durch die Probleme des Lebens einfach sehr viel übersehe und gar nicht wahrnehme.
Meines Erachtens nutzt es nichts Schmerzen zu verstecken genauso wenig wie Tränen. Wahrscheinlich würde ich sie nicht jedem zeigen, aber zum Beispiel meinen Kindern sage ich, wenn mir etwas weh tut. Ich kenne es von mir selbst. Als Kind sieht man gern die Ursache in sich selbst und fühlt sich für etwas schuldig oder verantwortlich mit dem man ganz und gar nichts zu tun hat. Was kann meine Tochter dafür, wenn ich Kopfschmerzen habe. Also sage ich es ihr, damit sie nicht denkt, ich wäre wegen ihr gereizt oder sie hätte etwas falsch gemacht. Gerade für die direkte Umwelt und die Freunde ist es wichtig offen über solche Dinge zu reden. Sonst glaubt der oder die andere das und daraus folgt ein Verhalten von dem ich wieder glaube und so bleiben wir dann in Mutmaßungen stecken und haben nicht die Möglichkeit uns wirklich zu begegnen.
Ich zeige auch nicht jede Gefühlsregung jeden und gehöre eher zu den verschlosseneren Menschen. Aber für ein gutes Miteinander ist meines Erachtens eine gewisse Kommunikation erforderlich. Wenn sie einmal nicht geklappt hat, dann gibt es ein nächstes Mal bei der ich es anders versuchen kann.
Es ist auch nicht so, daß ich jetzt von mir behaupten würde ich liebe mich selbst. Die Liebe zu anderen ist leichter für mich zu empfinden. Aber ich versuche mich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen und meine Bedürfnisse und Wünsche zu akzeptieren und etwas zu ihrer Erfüllung zu tun. Manchmal geht es schief und es kommt nur Stress ... dabei raus und manchmal ist alles rund und schön und alle Beteiligten genießen den Augenblick. Gerade mir meine eigenen Bedürfnisse zu sehen und sie zu akzeptieren und etwas dafür zu tun, daß sie erfüllt werden, konnte ich früher überhaupt nicht. Oft habe ich mich schuldig gefühlt, weil ich Bedürfnisse hatte und habe diese mit komischen Strategien abgewehrt. Wenn ich meine Bedürfnisse akzeptieren kann und nicht in das Gefühl komme, hilfe ich sterbe, wenn dies oder das nicht erfüllt wird, ist die Möglichkeit, daß sie gestillt werden schon viel größer.
Wie ist das bei Dir mit dem Bedürfnis nach Freunden, nach Mitgefühl, wenn es Dir schlecht geht? All das wird bei Rückzug nicht abgedeckt. Oft ist es wichtig, daß man eine Zeit mehr Ruhe für sich hat, aber wenn es aus Angst vor ... etwas ist, ist die Ruhe und das Zurückziehen nicht mehr freiwillig.
Ich habe gelernt, daß es oft einfacher ist, die "negativen" Gefühle vor anderen zu zeigen und es danach dann meist auch wieder gut ist. Mir gelingt das auch nicht immer und ich fresse auch öfters etwas in mich hinein, aber das führt oft dazu, daß man glaubt dieses Gefühl würde nie aufhören. Wenn ich es lebe oder ausdrücke ist es meist ziemlich schnell vorbei. Es ist so, als wenn ich nie etwas weggebe oder wegwerfe. Nach einer Zeit ist alles dann furchtbar zugemüllt und es ist gar nicht mehr möglich Ordnung und Klarheit zu schaffen. Dann ist es wichtig, alles alte, was ich nicht mehr brauche zu entsorgen, zu sagen Du bist ein altes Gefühl Dich hatte ich als ... und sich dann auf das jetzt zu konzentrieren.
Was ich da alles schreibe, klingt wahrscheinlich logisch. Aber so wie ich Dein Leben einschätze, hattest Du bei all den, was auf Dich zu kam, kaum Zeit die Gefühle anzuschauen und auszusortieren. Doch jeder kann irgend wann damit anfangen. Das nächste was ich auch immer noch wichtig finde, ist sich klar zu machen, wo für einen der Weg angefangen hat. Jemand der als Kind von den Eltern unterstützt wurde, aufs Gymnasium ging ... dem alle Möglichkeiten der Bildung offen standen für diesen ist es nichts besonderes ein großes Allgemeinwissen zu haben. Jemand der Arbeiten mußte und nicht zur Schule durfte, bei dem sieht das alles ganz anders aus. Das heißt aber noch lange nicht, das nicht beide gleich intelligent ... sind. Aber die Grundvoraussetzungen waren einfach unterschiedlich. Wenn der eine seinen Doktor macht, ist er seinen Weg gegangen, hat ihn das Kraft Zielstrebigkeit ... gekostet. Wenn der andere dem nie Bildung zur Verfügung stand, jetzt aber irgendwann beschließt, er wollte auch einen Doktor machen, wird der Weg dahin viel schwieriger sein. Erst muß er die Zulassung für eine Universität also das Abitur machen ( dies wurde dem anderen schon in der Kindheit und Jugend mitgegeben) Dann muß er studieren, vielleicht sich sein Geld verdienen ...
Wo bist Du heute angekommen? Und wo hat Dein Weg angefangen? Was hast Du als Kind als Normalität erlebt und was erlebt Dein Kind als Normalität. so wie ich es verstanden habe, liege Welten dazwischen. Aber diese "Normalität", die Du heute mit Deinem Kind lebst, hat dich viel mehr Kraft gekostet, Du hast einen viel weiteren Weg zurück gelegt, als viele andere. Das solltest Du achten und wissen. Und für Dich sind manche Dinge auch schwer, die jemand anders ( der unter besseren Umständen groß geworden ist) als ganz selbstverständlich ansieht.
Liebe Grüße
Ereschkigal