AW: gute Menschen
Ich versuche meine Entscheidungen, die Einfluss auf andere haben bewusst zu treffen und auch darüber nachzudenken, warum ich mich gut oder schlecht dabei fühle, was ich erwarten und verlangen darf, was mein Gegenüber darf....
Dann entscheide ich das nach meinem Gewissen.
Beispiel:
Eine Bekannte erzählt mir, ihr Vermieter droht mit Kündigung, weil ihr Vater den Unterhalt mal wieder zu spät zahlt.
Ich habe Geld rum liegen, was ich grad nicht brauche.
Leihe ich ihr das, oder nicht? Geht um 500 Euro.
Dann fangen die Menschen an, das nach verschiedenen Kriterien zu entscheiden.
Beim Großteil bestimmt die erste Frage: Vertraue ich ihr?
Bei mir auch. Ich entscheide: Es könnte durchaus sein, dass ichs nicht zurück bekomme. Aus verschiedensten Gründen, ist ja egal (erstmal).
Dann frage ich mich: Wie dringend brauche ich es denn?
Ich entscheide: Es wäre ärgerlich, aber nicht das größte Drama, wenn ich es nie zurück bekomme.
Damit ist BEI MIR die Entscheidung gefallen.
Die Begründung:
Sie würde aus der Wohnung fliegen, für mich hätte das keinerlei Konsequenzen, außer dass ich 500 Euro weniger habe, natürlich muss ich ihr das leihen.
Ich weiß nicht, ob ich es zurück bekomme.
ICH muss mich also entscheiden zwischen: Vertrauen ja, oder nein.
Moralvorstellung sagt: Vertrauen ist besser, für dich, für sie auch, weil Misstrauen vielleicht nicht gerechtfertigt ist. Das wäre ihr gegenüber ungerecht.
Da ichs nicht weiß, konstruiere ich Fälle:
Womit kann ich besser leben?
1. Ich gebe es ihr, sie gibt es mir nicht zurück.
--> Wessen Verschulden?
Ihres: Scheiß Nummer von ihr
Nicht ihres: mir fehlen 500 Euro, ist aber für mich nicht wirklich schlimm, verdient hätte sie es trotzdem
Ich habe ein ruhiges Gewissen, in beiden Fällen, ICH habe nichts falsch gemacht.
2. Ich gebe es ihr nicht, habe es rum liegen, brauche es nicht, kaufe mir davon vielleicht irgendwann unnützes Zeug.
Ich weiß nie, ob sie es mir zurück gegeben hätte, vielleicht ja.
Ich habe ein unruhiges Gewissen, aber dafür mein Geld noch.
Also habe ich das bessere Gefühl, wenn ich ihr das Geld leihe und mache das auch.
Oder umgekehrt:
Ich bin in Kenia.
Ich besuche dort eine Schule und sehe Kinder in Anziehsachen, die als solche gar nicht zu bezeichnen sind. Nicht mal Lumpen sind das mehr.
Im "Kunstunterricht" formen die Kinder Figuren. Nicht aus Knetmasse. Nicht aus Ton.
Sondern aus Dreck vom Fußboden (da sitzen die auch), mit Wasser.
Ich überschlage, was mein Outfit gekostet hat.
Hose: 130
Shirt: 50
Schuhe: 100
Reicht mir schon, mehr will ich gar nicht wissen...
Ich denke: Wow... eine Hose für 20 Euro hätte auch deine Beine bedeckt.
110 Euro Ersparnis = Einen Monat Essen kaufen für kenainische Familie (fiktiv)
Weitere Hochrechnungen erspare ich mir (wofür ich mich schlagen will, weil ich mich nur nicht damit auseiander setzen möchte, damit ich nichts ändern muss....).
Guck mir die Menschen genauer an: Alle Lächeln zurück, wenn ich die Mundwinkel nach oben ziehe. Habe ich nicht verdient. Ich würd mich wahrscheinlich ausrauben. Und das gerecht finden.
Geht weiter in einem Dorf.
Maismehl wird von Hand gemahlen. Ich versuche das, nicht genug Kraft. Die kenainischen Frauen lachen. Ich lache mit, habe nicht das Gefühl, dass sie mich auslachen.
Ich will wissen, was das für Gräber sind. Schwangere Frau wurde vom Elefanten getötet. Aha. Ein eigenes Grab für ungeborenes Kind.
Ich gucke mir die Hütten an. So wohnen die also?
Oh, kein Bett. Müll, Dreck, es stinkt. Wie jetzt: Da schlaft ihr? Auf der Steinplatte? Achso... son Lumpen-Laken drunter. Dann geht´s ja.
Sage mir im Kopf die Wörter: "Heftig..." oder "Krass...."
Versuche Mitleid zu fühlen oder mich blöd zu finden. Klappt nicht.
Bekomme ich einen Kulturschock?
Irgendwann wieder im Bus.
Habe Hunger und denke an das Paket, was mir im Hotel gegeben wurde.
Jetzt reichts mir!
Ich denke: "Du bist so ein egoistisches, behindertes Drecksschwein! DEIN Magen knurrt und du denkst SOFORT an diese scheiß Kiste. Aber rennst grad zwei Stunden in Schulen und Dörfern rum, wo die Kinder alle halb verhungert aussehen mit deinem ohnehin zu fetten Arsch und DENKST nicht eine Sekunde daran, das du was zu fressen dabei hast!"
Dann frage ich mich, ob ich es denn abgegeben hätte, WENN ich dran gedacht hätte.
Ehrlich!? -Ja. Nen Apfel hätte ich behalten. Bis abends kann man wohl mal Hunger leiden.
Denke weiter: "Ist ja auch das mindeste... kannst dich in der Lodge ja wieder vollstopfen, bis dir schlecht wird... WARUM hast du nicht daran gedacht, du bist wirklich ein mieser Mensch."
Ich nehme Apfel und Birne raus und geb den rest dem Busfahrer. Er hat keinen Hunger.Aber Kinder, die sich freuen.
Ich mache mir noch weiterhin Gedanken, warum es keinen Unterschied gemacht hat, ob ich sowas im Fernsehen sehe, oder live davor stehe.
Fühlt sich gleich an.
Frage mich außerdem, ob nicht ein viertel meines Kofferinhaltes gereicht hätte...
-ja.....
Hätte man den restlichen Platz mit alten Klamotten füllen können und an Kinder verschenken.
Ich bin da zumindest sicher, dass ich beim nächsten Mal dran denken werde.
Ich finde das aber nicht annähernd ausreichend und bin sehr enttäuscht von mir.
Obwohl ich auch in dem Moment genau weiß, dass mich das weder zum Strom sparen, noch zum Spenden, noch zum billiger shoppen veranlassen wird, wenn ich zurück bin.
Bin scheinbar allein durch mein schlechtes Gewissen beruhigt.
Schlechter Mensch....
Gerade die Kenia Sache habe ich mit Freunden besprochen.
Häufiger Einwand: Was würde das ändern, wenn du da EINMAL bist und EINMAL dein Essen abgibst?
DAS hatte ich nicht bedacht. Uh, jau. Den wirklichen Nutzen habe ich gar nicht berücksichtigt. Bin schlecht UND dumm.
Weiß nicht. Alles? Nichts? Geht es darum überhaupt?
Fast alle sind sicher: Nichts von Dauer.
Und wenn JEDER ETWAS abgeben würde? Jeden Tag?
Antwort: Ist aber nicht so.
DAS deprimiert mich jetzt richtig.
Schlecht, dumm UND überflüssige Gedanken.
Nur einer enttäuscht mich nicht, wie immer. Geht jeden Gedankengang noch mal einzeln mit mir durch. Kann ja nicht stimmen, muss ja ein Fehler sein, wenn "schlecht" dabei heraus kommt. Sieht manches anders, lässt meine Gedanken aber so als logisch durchgehen (für MEIN Denken logisch).
Stimmt wohl doch. Aber nur darauf bezogen jetzt.
Versucht mich zu trösten: Die meisten mache sich diese Gedanken gar nicht. Und was "Ist aber nicht so" überhaupt für eine Antwort sei?! So dürfe man nicht argumentieren. Nur weil´s keiner macht, muss es nicht richtig sein.
Helfen tut´s nicht, aber danke für die Bemühung.
-Man tut, was man kann.....
Ungefähr so sieht bei mir die eigene Beurteilung aus. (Als Beispiel)
Ich gebe mir Mühe, erwische mich aber oft dabei, eigentlich meinen Idealvorstellungen gar nicht gewachsen zu sein.
Beurteilt ja auch jeder anders. Ich würde zum Beispiel nicht auf die Idee kommen, das Entsprechen von gesellschaftliche Normen im Allgemeinen anzuführen in so einer Diskussion.
Dagegen spricht ja immer die Möglichkeit, sich als Individuum auch anders entscheiden zu können.
Und auf die Norm selbst kommt es auch an. Ob die gut oder schlecht ist.