Aus der Balance

Elena

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10 April 2011
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Hallo an alle,

ich habe mich eben hier registriert, fand dieses Forum über Google. Es ist mir momentan ein großes Bedürfnis, mich mitzuteilen.
Ich bin fast Mitte 50 und war sehr lange alleinerziehend. Mein Sohn ist hochbegabt - was ich damals nicht wusste - und dementsprechend schwierig war er aufzuziehen. Sein Vater hat uns verlassen, als unser Sohn drei Jahre alt war, er wollte die große Karriere machen und sein Interesse an Frau und Kind erlahmte.
Mir ging es damals sehr schlecht, ich hatte die größten Ängste, es alleine nicht schaffen zu können. Vor allem auch, weil ich in meiner Familie nicht viel Gutes erlebt hatte und mein Selbstwertgefühl dementsprechend schlecht war.

Ich konnte auch nicht alleine sein und war bis dahin im Grunde auch nie alleine gewesen. Was folgte, waren viele harte Jahre, in denen sich mein kompletter Freundeskreis auflöste, niemand wollte den Kontakt mit mir als alleinstehende, alleinerziehende Frau fotführen und nach ein paar Jahren zog ich vom Land, wo ich heftig ausgegrenzt wurde (damals war eine Alleinerzieherin dort allen suspekt), in die Großstadt,wo ich mich anfangs sehr schwer tat, aber rückblickend war es das Beste, was ich tun konnte.

Es war nicht einfach für mich - ich musste es schaffen, mich gut um meinen schwierigen Sohn zu kümmern und mir eine berufliche Existenz aufbauen. Einige Partnerschaften, die ich in dieser Zeit einging, scheiterten katastrophal. Ich habe Therapie gemacht und begonnen, meine Altlasten aufzuarbeiten. Daran habe ich wirklich sehr ernsthaft (und sehr schmerzhaft) lange gearbeitet. Dennoch ging es erst vor ca. 6 Jahren nach einer heftigen Krise samt Burnout, die mich zu monatelangem Krankenstand zwang, richtig bergauf.

Ich hatte das Gefühl, vieles verarbeitet zu haben, fühlte mich immer stabiler und richtete mir ein relativ gutes Leben ein. D.h. alles, was ich zum Positiven ändern konnte, änderte ich. Ich zog in eine neue Wohnung, nahm mir einen Hund und pflegte meine Hobbys wieder. Da ich sehr gerne zu Hause bin, habe ich viel Sorgfalt und Kreativität auf die Ausstattung meiner Wohnung verwendet.

Mein Sohn wohnt ganz in der Nähe, ist schon verheiratet und ich habe auch schon eine kleine Enkeltochter, die ich sehr liebe. Mein Sohn studiert aber noch (Begabten-Stipendium) und wird heuer im Sommer fertig werden. Er macht sich gut im Studium und alles lief eigentlich sehr gut. Er will sein Doktorat gleich anschließend machen und die wissenschaftliche Laufbahn einschlagen.

So halb aus Spaß hat er sich fürs Doktoratsstudium international an einigen Unis beworben. Und er bekam ein finanziell gutes Angebot aus der Umgebung von Chicago. Seine Frau möchte allerdings nicht dort hin und es war bislang auch kein richtiges Thema, wirklich weg zu gehen. Aber je mehr er darüber nachgedacht hat, umso besser gefiel ihm dieses Angebot. Vor einem Monat ist er rüber geflogen (er wurde dazu eingeladen) und hat sich alles angesehen. Nun hat er mir gestern gesagt, dass er Anfang September mit Frau und Kind für vier Jahre dorthin gehen wird. Seine Frau will zwar nicht so ganz, aber sie möchte ihm auch nicht die Chance vermasseln und sich das später anhören müssen.

Mich hat diese Eröffnung jedoch völlig umgehauen. Mir ist es gestern dermaßen schlecht gegangen, dass ich fast die ganze Nacht wach lag und viel weinte. Mittlerweile ist mir klar, dass meine seelische Balance stark davon abhängig war, dass ich in meiner Nähe "Familie" habe. Denn sonst gibt es ja niemand.
Ich habe nur wenige Freunde und die sehe ich auch nicht oft, weil sie entweder in Beziehungen leben oder sehr viel reisen. Doch ging es mir damit bisher gut. Ich habe einen Kurs begonnen, der mich wirklich sehr interessiert und war eigentlich zufrieden alleine mit meinen Tieren (eine Katze hab ich auch) und dem Kontakt zu meinem Sohn, meiner Schwiegertochter und vor allem zu meiner Enkeltochter.

Wie sehr es mich trifft, dass nun bald alle auf einen Schlag sehr weit weg sein werden, hätte ich mir selbst nicht erwartet. Die innere Stabilität ist wie weg geblasen und ich habe richtige Zukunftsangst. Vor allem fürchte ich mich davor, wieder in Depressionen zu schlittern. Mir ist es schon so lange und so oft extrem schlecht gegangen und die letzten 6 Jahre waren eine einzige Erholung dagegen - da wieder zurück zu fallen, wäre schrecklich für mich.

Ich habe damit leben gelernt, alleine zu sein, das Bestmögliche aus meinem Leben gemacht - aber so ganz verlassen zu leben, das erschreckt mich schon in der Vorstellung. Es ist auch ungewiss, ob mein Sohn dann wieder hierher zurück kommen wird, denn vermutlich bekommt er reizvolle Angebote im Ausland (wo auch immer).

Für mich ist gerade meine Welt zusammen gebrochen. Aus der Traum von einem zufriedenen Leben, in dem es mir endlich wieder gut geht. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, bindungslos gut zu leben. Enge Freundschaften kann man sich nicht herbei zaubern und eine Partnerschaft zu suchen, um nicht alleine zu sein - davon halte ich nichts. Ich möchte eigentlich auch keine derzeit und weiß nicht, ob ich jemals noch eine möchte.

Momentan bin ich sehr durcheinander und fühle mich innerlich sehr verwundet. Verlassen zu werden, ist hart, überhaupt wenn sonst niemand mehr da ist und ich immer älter werde.

Liebe Grüße
Elena
 
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Hallo liebe Elena,

herzlich willkommen hier im Forum. *umarm* Hier bist Du richtig, hier kannst Du Dir immer alles von der Seele schreiben, und dann wirst Du Dich leichter fühlen. Vielleicht findes Du durch das Schreiben auch einen Weg, wie Du mit der Situation besser umgehen kannst.

Momentan hast Du Angst vor der Zukunft, das ist verständlich. Vor einem Depressionsrückfall brauchst Du Dich aber eigentlich nicht zu fürchten, dagegen gibt es kompetente Hilfe. Ich weiß, wie schlimm es ist, wenn alles grau in grau ist und wenn tief innen nur Traurigkeit herrscht. Wenn Du allein nicht weiterkommst, wende Dich an einen Psychologen oder an einen Psychiater oder vielleicht auch an einen Seelsorger - und nicht erst, wenn Du schon im schwarzen Loch sitzt! Wie hast Du es denn damals geschafft, mit der Depression fertig zu werden? Du hast insgesamt gesehen Dein Leben mit all seinen Schwierigkeiten sehr gut gemeistert. Darauf, dass Dir das gelungen ist, kannst Du wirklich stolz sein und es zeigt jedenfalls, dass Du innere Stärke hast!

Dein Sohn verlässt Dich nicht! Er ist ja noch da, wenn er auch körperlich nicht in Deiner Nähe sein wird, nicht wahr? Ihr könnt doch sicher Kontakt halten, damit Du immer weißt, wie es ihm und seiner Familie geht. Eure seelische Verbindung bleibt ja aufrecht und die Liebe wird durch die Entfernung ganz sicher nicht kleiner.

Mach' Dir jetzt noch keine Gedanken darüber, ob er zurückkommt, zuerst muss er sein Studium beenden. Er muss sein Leben leben und seine Chancen wahrnehmen. Ich bin ganz sicher, dass Du Dich eines Tages darüber freuen wirst, was er alles erreicht hat und dass Du sehr stolz auf Deinen klugen Sohn sein wirst. Vielleicht möchtest Du ein bisschen darüber erzählen, wie er in seiner Kindheit und Jugend war und was er studiert?

Alles Liebe,
ElliB
 
Liebe ElliB,

danke für die herzliche Begrüßung. Ja, ich hole mir sicher Hilfe - das Thema ist mir zu heftig, um damit auf die Schnelle alleine fertig zu werden. Schwer wird es trotzdem werden.
Natürlich kann ich mit meinem Sohn und seiner Familie in Verbindung bleiben. Aber es ist keine schöne Vorstellung, hier ganz alleine zu sein. Wenn ich krank werde, einen Unfall habe oder einfach nur schnell mal vorbei schauen möchte, um mich zu unterhalten - da ist dann niemand mehr. Ich kenne ja nicht so viele Leute und so richtig enge Beziehungen habe ich keine. Wie gesagt - es war ein ganz wichtiger Pfeiler für mich, meinen Sohn hier zu haben. Auch wenn ich ihn gar nicht so oft gesehen habe. Wir haben zumindest regelmäßig telefoniert und einander besucht, vor allem hatte ich mein Enkelkind in letzter Zeit immer öfter bei mir.

Mir blutet das Herz momentan, denn es ist ein großer Verlust für mich und macht mich viel einsamer als ich es jetzt war. Es ist eine Sache, per Mail oder Telefon in Kontakt zu stehen oder jemand wirklich hier zu haben. Und noch dazu gehen sie so weit weg, da kann ich sie nicht mal besuchen, denn ich vertrage das Fliegen nicht gut und meinen Hund könnte ich da auch nicht mitnehmen.

Mir tut richtig das Herz weh - auch körperlich ist da so ein Druck um den Brustkorb. Ich kann meine Gefühle nicht ausschalten, sie sind eben so, wie sie jetzt sind. Da ist so viel Traurigkeit in mir und auch eine Menge Hoffnungslosigkeit. Der Gedanke ist noch so neu, er hat mich ganz erschlagen. Ich denke, das wird sich erst mit der Zeit wieder bessern. Ich war völlig unvorbereitet darauf, weil ich sicher war, sie gehen nicht weg.

Aber es tut doch ein wenig gut, darüber schreiben zu können.

Liebe Grüße
Elena
 
Hallo und herzlich willkommen auch von mir Elena.
Ja ich kann mit dir mitfühlen. Du bist schon so weit gekommen und jetzt hauen deine Gefühle dich wieder um. Das ist in Ordnung.
Es ist auch in Ordnung, dass dein Sohn sein eigenes Leben hat. Mache es ihm nicht so schwer, er spürt, wie es dir geht. Mache nicht dein Glück abhängig von ihm.
Besorge dir eine Kamera, und melde dich bei z.B. Skype an. Das haben wir auch gemacht, als unsere Älteste wegzog. Dann konnten die Kleinen sie ab und an noch öfter live sehen und hören. Macht euch einen Tag in der Woche ab, oder auch zwei oder drei, an denen ihr euch sprecht, damit deine Enkelin, die Oma immer mal wieder sieht und nicht nur hört. Wenn sie sich eingelebt haben oder in ein oder zwei Jahren, kannst du vielleicht auch mal selber für zwei oder drei Wochen rüberfliegen, den Hund kannst du in gute Pflege geben - vielleicht wäre das ja machbar.
Es ist nicht einfach loszulassen.
Ich drücke dir die Daumen.
Eberesche
 
Liebe Elena!

Auch von mir ein herzliches Willkommen!

Beim Durchlesen Deines Postings hat es mich auch zusammengekrampft, wenn ich ehrlich bin. Ich hänge auch sehr an meinen Kindern, war lange Alleinerzieherin so wie Du - und der Gedanke, sie würden eines Tages weit weg ziehen, würde mich auch irgendwie zusammenbrechen lassen.

Die Älteste ist nun schon ausgezogen von daheim, die Jüngeren sind noch bei mir, studieren aber teilweise schon, d.h. in zwei Jahren wird auch ihr Auszug spruchreif.

Mit der Ältesten habe ich nach wie vor einen sehr engen Kontakt, wir treffen uns alle paar Tage auf einen Kaffee oder sie kommt vorbei, fast täglich bekomme ich E-Mails von ihr.

Und es würde mich schmerzen, wenn sie (oder die anderen Töchter von mir) eines Tages nicht mehr hier sind. Ich kann Dich also gut verstehen, denke ich.

Die andere Seite ist die, dass ich ihnen niemals zur Last fallen möchte oder dass es zum Zwang werden sollte. DAS würde mich wahrscheinlich noch viel mehr schmerzen als eine größere Entfernung.

Du hast für Deinen Sohn alles gegeben, was Du konntest. Du hast das Leben weitergegeben, ihm und seinen Nachkommen eine Zukunft gebaut. Und darauf kannst Du stolz sein.

Ich kann mir vorstellen, dass der Schock für Dich groß ist (wäre er für mich auch), aber es ist zumindest bei mir in meinem Leben immer so gewesen, dass die Vorstellung von den Dingen viel schlimmer war als die Realität dann selbst es je war.

Du weisst nicht, was die Zukunft bringt. Es kann sein, dass es Dir besser geht, als Du erwartet hattest.
Es kann sein, dass Ihr sehr viel Kontakt über E-Mail oder Skype (finde ich klasse für große Distanzen, mit Headset ist das fast wie ein Gegenüber-Sitzen) habt.
Es kann sein, dass Du nachziehst in die USA - wer weiss schon, wie die Zukunft wirklich aussehen wird?

Lass es an Dich herankommen, vielleicht ist es in Wahrheit dann gar nicht so schwarz, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Liebe Elena,

ein herzliches Willkommen auch von mir!

Was du gerade erlebst, stelle ich mir unglaublich schwer vor.

Ich habe eine Tochter, die gerade aus unserer Stadt fortgezogen ist um ihr 2. juristisches Staatsexamen in einer anderen Stadt zu machen. Sie ist zwar nur 150 km von mir entfernt - aber sie ist nicht mehr da.

Als sie zum 1. Mal fort zog, war sie gerade 18 Jahre alt und begann ihr Studium. Das war viel schwerer für mich damals. Ich hätte nie gedacht, daß ich dieses Kind so vermissen würde - sie war ja schließlich nicht zum Mars gezogen

Aber ich habe meinen Mann und bin also nicht alleine. Der war(und ist)zwar meistens nicht zu Hause, weil er beruflich stark eingespannt ist, aber er ist da, wenn ich ihn brauche.

Du hast es da viel schwerer. Ich bewundere dich sehr für deine Stärke. Aus deinen Worten spricht so viel Kraft und Mut.

Ich bin damals, als unsere Tochter weg war, total zusammengebrochen. Es war schlimm für mich.
Ich habe damals lange gebraucht, um zu begreifen, daß der Auszug unserer Tochter nicht das eigentliche Problem war.

Ich arbeite freiberuflich und bin den ganzen Tag über zu Hause, in meinem Büro. Damals lebten wir in einem kleinen Dorf. Es war furchtbar. Mir fiel die Decke auf dem Kopf und wurde depressiv.
Ich fühlte mich dermaßen unwohl, daß ich schließlich meinen Mann überreden konnte in die Stadt zu ziehen.

Ich bin noch heute froh über diesen Schritt. Ich arbeite immer noch von Zuhause aus, doch ich fühle mich viel wohler hier und bin wie befreit.

Ich brauchte einfach eine Veränderung in meinem Leben. Heute bin ich viel aktiver und lebendiger geworden. Die "Luftveränderung"hat auch viele andere Dinge in meinem Leben angestossen, die sozusagen "brach" lagen.

Vielleicht kannst du irgendwann diesen schweren Einschnitt in deinem Leben auch als Chance sehen.
Das wird sicher noch sehr lange dauern, aber ich bin mir sicher, du schaffst es aus deiner Traurigkeit herauszukommen.

Ich wünsche dir alles Gute!
 
@Elena

Herzlich willkommen. Es ist, im Vergleich zu Deinen Erlebnissen sehr wenig was Du hier geschrieben hast, - ja schreiben konntest. Wie solltest Du auch. Und trotzdem ist es wahnsinnig viel was Du schon geleistet hast. Geeignete Tipps können Dir hier sicherlich die Userinnen weit besser geben als ein Mann. Du merkst das an den einfühlsamen Worten von Clara.
Ich bin etwas älter als Du und für mich ist jeder Tag an dem ich morgens mit gesunden Beinen aus dem Bett komme ein Geschenk.
Ich wünsche Dir unendlich viel Erfolg bei der Bewältigung Deiner zahlreichen Anliegen. Und nebenbei, - den Tipp mit der Kamera finde ich sehr toll. Sollst Du tun.

Allerliebste Grüße vom Martin
 
Vielen, vielen Dank für eure lieben Antworten! Es tut mir gut, ein bisschen aufgefangen zu werden. Denn das ist ein schwerer Moment in meinem Leben, darum komme ich nicht herum. Der lässt sich nicht schönreden, da muss ich (wieder einmal) mitten durch.

Ich weiß, dass Krisen auch große Chancen bedeuten können. Das habe ich ja schon erlebt und erfahren. Aber es macht die Krisen mittendrin nicht leichter. Was ich in meinem Leben gelernt habe, ist unter anderem, dass Flucht nicht hilft, sondern Zulassen letzten Endes der fruchtbarste Weg ist. Mir geht es jetzt einfach schlecht, ich möchte sagen, grottenschlecht.

Würde ich in einer Partnerschaft leben, ginge es mir bei weitem besser, denn der Punkt ist nicht nur, dass mein Sohn weg geht, sondern dass ich ganz alleine zurück bleibe. Ohne Halt und ohne jemand zum Anlehnen, zu dem ich gehöre. Das ist das Schwerste.

Nein, ich möchte meinem Sohn um Gottes Willen nicht vorschreiben, wie er sein Leben zu führen hat, ich war auch nie eine Glucke. Als er vor 8 Jahren auszog, war ich sogar froh, weil es den Stress in meinem Leben deutlich reduzierte. Es ist einfach sehr schwer, allen Halt nur in sich selbst finden zu müssen, denn da ist ja niemand sonst.

Was sicherlich zum Thema werden wird über kurz oder lang, denn so zu leben, hält wohl kaum jemand auf Dauer aus, dazu ist der Mensch zu sehr soziales Wesen - und ich auch. Vorerst hab ich die Therapeutin angeschrieben, zu der ich vor kurzem ein paar Mal zum Coaching war und um einen neuen Termin gebeten. Ich werde auch in meinem Kurs sagen, was los ist, denn da es dort um psychologische Inhalte geht und wir auch Selbsterfahrung zusammen machen, will und muss ich das tun.

Aber ich kann momentan meine Gefühle nicht steuern, das wäre ein sinnloses Unterfangen. Ich muss da mal durch all die Trauer und den Schock verdauen. Plötzlich ganz alleine dazustehen, ist ja keine schöne Vorstellung, wenn man ohnehin sozial recht dünn versorgt ist.

Ich kann mir vorstellen, dass ich mit dieser Krise lernen werde, michim besten Fall total zu emanzipieren. Denn wozu ich am allerwenigsten Lust habe, ist, die nächsten Monate oder gar Jahre von Krise zu Krise zu taumeln und depressiv nur durchzuhalten. Das kann ich mir nicht mehr antun, nach dem, was ich schon hinter mir habe. Das will ich einfach nicht!

Ich kann mir aber auch vorstellen, dass mein Sohn sich mit diesem Schritt emanzipiert und richtig erwachsen wird. Denn bisher konnte er immer auf mich zählen und ich habe ihm bei allem geholfen, was er brauchte. Er hat gemeint, ohne seine Frau, d.h. wäre er Single, wäre er nicht gegangen. So wie ich ihn kenne, ist auch er längst nicht so unabhängig. Auch als Kind brauchte er viel, viel Nähe und er klebte geradezu an mir. Er tut sich mit dem Weggehen also wesentlich leichter, wenn er seine Familie dabei hat. Wobei ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen würde, dass die Beziehung das übersteht. Denn meine Schwiegertochter will da ja gar nicht hin und sie tut es nur, weil sie sich später keine Vorwürfe machen lassen will. Sie ist selbst ein sehr sensibler Mensch und reibt sich sehr an den starken Emotionen ihrer ebenfalls höchst sensiblen, aber auch sehr gefühlsintensiven Tochter auf.

Wenn es da drüben sehr viel Stress mit allem Neuen geben wird und sie keinen Menschen kennt, auch die Sprache nicht gut spricht, kann ich mir durchaus vorstellen, dass sie irgendwann das Handtuch werfen könnte und mit der Kleinen wieder weg geht. Nicht, dass ich ihnen das wünsche - ganz im Gegenteil - aber so richtig stimmig finde ich das Ganze dennoch nicht, weil es eigentlich nur darum geht, was mein Sohn will. Er ist mit seinen 27 Jahren zwar nicht gerade unreif im Vergleich zu anderen, sondern verfügt über ein beträchtliches Maß an Tiefgang, aber ihm fehlt doch die Lebenserfahrung. In gewissem Sinn mache ich mir auch Sorgen, ob das gut gehen wird - mal ganz abgesehen von mir. Es wäre ja auch nicht lustig, das Stipendium zurück zu zahlen, wenn das nicht klappt. Oder dann doch alleine dort zu sitzen, falls die Ehe der beiden nicht hält.

Gingen sie in Eintracht und wäre das auch der Wunsch meiner Schwiegertochter, hätte ich ein besseres Gefühl. Sie sitzt sozusagen in der Klemme. Bis vor 2 Wochen sagte sie noch, sie würde da nicht mitgehen, sie will das nicht. Aber offenbar hat mein Sohn nicht locker gelassen. Und das halte ich nicht für gut, weil es doch eiene Riesenveränderung ist und die müssten meiner Meinung nach beide wollen.

Andererseits könnte es ihr dort auch gut gefallen, aber gewiss ist das eben nicht. Sie ist vor 10 Jahren selbst aus einem anderen Land hier eingewandert und es war sehr schwer für sie, sich eine Existenz aufzubauen. Auch das ist mit ein Grund, warum sie nicht schon wieder woanders neu anfangen möchte. Jedoch geht es ihr, glaube ich, in erster Linie um ihre Tochter. Sie hat Angst davor, dass die Kleine sich schwer tut mit der Umgewöhnung und dass sie alle darunter sehr leiden werden. Und nach vier Jahren das Ganze wieder von vorne, denn direkt dort werden sie nicht bleiben, dort ist nur die Uni.

Es hat halt viele Komponenten und meine Enttäuschung über seine Entscheidung kommt daher, dass er seine Karriere über alles stellt. Es erinnert mich einfach stark an seinen Vater. Dieser hat uns zwar gleich verlassen und das ist ein großer Unterschied, aber dennoch geht es um die Karriere meines Sohnes, die er sich als die beste, die er schaffen kann, wünscht. Wie es mir geht, wie es seiner Frau gehen wird und wie der Kleinen - das ist ihm zwar nicht unwichtig, aber das andere ist ihm wichtiger.

Bezüglich meines Lebens mache ich mir keine Illusionen. Es wird härter werden und zwar um einiges. Ich gehe in 6 Jahren in Rente und werde einfach keine Familie mehr um mich haben. Das sind einfach keine schönen Aussichten, es gibt so viele Menschen, denen es so geht und ich sehe, wie sie vereinsamen und sich schwer tun.
Ich habe für meinen Sohn auf meine beruflichen Pläne verzichten müssen - ich konnte einfach nur Teilzeit arbeiten, weil meine Energie nicht zu mehr gereicht hat. Und ich finde es auch in Ordnung, denn ein Mensch ist mir einfach wichtiger als ein Beruf. Insofern ist es wohl auch ein Wertekonflikt, den wir da haben. Es ist ja nicht so, dass er hier keine Chancen hätte - er hat auch hier zwei Angebote von Stipendiats-Studien, nur sind die Stipendien geringer und das Renomme halt nicht so toll wie in Amerika.

Ich weiß, dass ich nun meinen Sohn auch angegriffen habe, aber ich bin nicht nur traurig, ich bin einfach auch enttäuscht und sogar wütend. Das muss alles mal raus, ich kann das nicht weg schieben, das grummelt sonst nur innen weiter.

Liebe Grüße
Elena
 
Liebe Elena!

Du brauchst Dir keine Gedanken darüber zu machen, Wut ist gesund und wichtig. Es tut Dir sicher gut, das niederschreiben zu können, wie es wirklich in Dir aussieht - das sind viele Puzzleteile, die ein Gesamtbild ergeben.

Du hast Deinen Mann an die Karriere verloren und nun auch Deinen Sohn, das verstehe ich gut, dass das wütend macht. Und Du siehst, dass sich hier etwas wiederholen könnte, was Dir solange zugesetzt hat.

Eine Frage brennt mir auf den Lippen: Wie war das bei Deinen Eltern?

Und eine weitere Frage, wenn Du erlaubst: Könnte es sein, dass Dein Sohn irgendwie die Last seines Vaters trägt?

Hast Du Dich schon mit dem systemischen Familienstellen befasst? Hier gäbe es vielleicht einen Lösungsansatz für die Sicht auf die Dinge.

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Liebe Elena,

ich kann Deine Gefühle sehr sehr gut nachvollziehen.

Loslassen tut so wahnsinnig weh.

Ich hab mir, als wir noch eine richtige Familie waren (mein Mann, unsere 3 Kinder und ich) auch immer vorgestellt, wie schön es wohl sein wird, wenn unsere Kinder heiraten, Enkel haben werden usw....

Mittlerweile ist alles anders. Mein Mann ist tot, eines meiner Kinder auch.
Loslassen ist wohl sowas wie ein Lebensthema bei mir geworden.

Meine noch lebenden Kinder sind auch ziemlich weit weg, ich seh sie manchmal nur 1x im Jahr. Und dennoch bin ich wahnsinnig froh, dass es ihnen heute gut geht, dass sie den Weg ins Leben zurückgefunden haben nach den schweren Jahren der Trauer.

Wir sind im Herzen miteinander verbunden, und ich habe gelernt, dass einem kein Mensch gehört - weder ein Partner, noch ein Kind. Menschen begleiten uns eine Zeitspanne lang und gehen dann wieder.

Ich hab nach dem Tod meines Mannes und meines Sohnes oft von Freunden den Satz gehört: "Du hast ja noch 2 Kinder, die sich um Dich kümmern können".
Aber ich kann doch nicht meinen Kindern diese Last aufbürden, sich darum zu kümmern, dass es mir gut geht. Die müssen selber ihr Leben in den Griff bekommen.
Ich habe nicht Kinder in die Welt gesetzt, dass sie MEIN Leben leben, sondern ihr eigenes. Und das kann durchaus auch am anderen Ende der Welt sein.

Im Zeitalter von Internet und Skype ist man innerhalb von Minuten auf der ganzen Welt miteinander vernetzt, das macht es sehr viel leichter, am Leben anderer teilzuhaben.

Ich war eine ziemliche Glucke
smile.png
und wir waren eine ziemlich eng verbundene Familie, umso schwerer ist es mir dann gefallen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Mittlerweile genieße ich meine Freiheit und meine Unabhängigkeit in vollen Zügen und ich freu mich schon wahnsinnig, wenn ich nächstes Jahr in Pension gehe, da hab ich dann ausgiebig Zeit, meine Kinder zu besuchen und mir die Welt anzuschauen.

Liebe Elena, ich hoffe, Du verstehst, was ich Dir mit meinen Zeilen sagen wollte.

Ich wünsch Dir alles Gute auf Deinem weiteren Weg.

Sandy
 
@sandy
dein beitrag sollte eigentlich hoffnung geben. Leider enthält er traurige nachrichten aber da du es ja, nach deinen eigenen worten, geschafft hast finde ich diesen beitrag( wenn du mir das bitte verzeihen magst) einen hammer. vielleicht hilft es die seele von elena etwas zu beruhigen und ist ein ganz wichtiger keim für zuversicht. ganz toll von dir.

lg martin
 
@sandy
dein beitrag sollte eigentlich hoffnung geben. Leider enthält er traurige nachrichten aber da du es ja, nach deinen eigenen worten, geschafft hast finde ich diesen beitrag( wenn du mir das bitte verzeihen magst) einen hammer. vielleicht hilft es die seele von elena etwas zu beruhigen und ist ein ganz wichtiger keim für zuversicht. ganz toll von dir.

lg martin

Lieber Martin,

Deine Zeilen haben mich jetzt sehr berührt.

Ich danke Dir!
 
Ich muss zugeben, ich bin ganz gerührt, wie viele mir Antworten schreiben. Danke dafür, genau das brauche ich jetzt. Anderenfalls würde ich nur trübsinnig in meiner Wohnung herum sitzen.
@Reinfriede: nein, eine Familienaufstellung will ich nicht mehr machen. Ich habe schon so viel Selbsterfahrung hinter mir, dass mir die Lust dazu fehlt - es kann auch manchmal zu viel sein.
Du hast gefragt, wie das bei meinen Eltern war. Na ja, es war eine schreckliche Ehe mit viel Streit und Aggression, immer Hektik und ständiger Überlastung durch den (Handwerks)Betrieb. Meine Mutter hatte mit Mitte 50 auch einen Herzinfarkt, ist aber dann doch 80 geworden. Mein Vater starb früher. Ich bin das mittlere von drei Kindern, die zweite Tochter - danach kam noch mein Bruder - und ich hatte eine sehr schlechte Beziehung zu meiner Mutter. Sie klammerte sich an meinen Bruder und er ist bis heute total abhängig von seiner jeweiligen Frau (hat mehrmals geheiratet). Wenn er alleine lebt, kriegt er nichts auf die Reihe. Ich war ein sensibles, gefühlsintensives Kind (wie meine Enkeltochter jetzt), wurde aber dafür ständig bestraft und vor allem von meiner Mutter zum Sündenbock gemacht. Sie wollte mich nie so richtig und ich habe viel Gewalt erlebt. Sie hat auch meine Geschwister gegen mich aufgehetzt und die haben sich brav aufhetzen lassen. Meinen Vater habe ich sehr geliebt, aber er hatte keine Chance gegen meine Mutter und wurde ständig runter gemacht. Er war ein einfacher, aber sehr feinfühliger, jedoch auch cholerischer Typ.

Ob mein Sohn die Last seines Vaters trägt, kann ich nicht sagen. Was meinst du damit genau? Er hat es natürlich erlebt, dass sein Vater weg ging, als er drei Jahre alt war, aber da die beiden nie eine enge Beziehung hatten und er ein absolutes Mutterkind war, hat ihn das nie gestört. Jedenfalls hab ich nichts davon gesehen. Was ihm viel mehr zu schaffen machte, war, wenn es mir schlecht ging. Trotzdem haben wir viele Konflikte gehabt, denn er hatte von klein auf den Drang, mich voll zu dominieren. Er ist vom Wesen her meiner Mutter sehr, sehr ähnlich und das hat mich noch einmal eine Menge Kraft gekostet. Mir war klar, wie immens wichtig es für ihn war, dass ich mich ihm nicht unterworfen habe, denn meine Mutter ist mit einer recht schwachen eigenen Mutter (auch ohne Vater) aufgewachsen und sie blieb ihr Leben lang eine Egozentrikerin der Sonderklasse, die alle in Grund und Boden dominierte, emotional erpresste und für ihre Bedürfnisse instrumentalisierte.

Aber ich habe das alles durch - xfach. Damit mag ich mich nicht mehr befassen, es war schwer genug, es zu tun und hat mri sehr viel Energie gekostet und große Schmerzen bereitet, die alten Verletzungen aufzuarbeiten.

Liebe Grüße
Elena
 
Liebe Sandy,

deine Zeilen haben mich sehr berührt. Danke für deine Offenheit! Furchtbar, was du zu bewältigen hattest, ich kann mit dir mitfühlen. Und absolut wunderbar finde ich, dass du alles bewältigt hast. Es war sicherlich sehr schwer für dich. Ich glaube aber, gerade weil du es bewältigen konntest, geht es dir heute so gut. Auch mir ging es nach wirklich bewältigten Krisen immer so gut - da waren immer so schwere Lasten abgefallen, ich hatte neue Möglichkeiten für mich entdeckt und ausgelebte Gefühle kehren nicht wieder. Aber dazu muss man sie erst einmal ausleben - das ist der schwerste Teil davon.

Ich brauche jetzt einfach Zeit, das ist mir klar. Es wäre ja nicht "normal", würde ich schon nach einem oder zwei Tagen sagen, mir geht's wieder gut, alles verarbeitet. Die nächste Woche habe ich mir nun mal frei genommen, war zum Glück kein Problem. Ich brauche das jetzt, denn in mir geht's rund und Ablenkung durch das Büro hilft bei mir überhaupt nichts, ganz im Gegenteil, da geht's mir absolut schlecht, wenn ich dort mit einer halbwegs neutralen Fassade herum laufen muss. Mein Kollege hatte vor kurzem einen Todesfall, der ihn sehr bewegte - da hab ich ihn vertreten und ihm den Rücken frei gehalten. Er tut das nun auch für mich und darüber bin ich sehr froh.

Ich bin nicht nur als Kind sehr gefühlsintensiv gewesen, sondern heute noch immer. Diese Nachricht hat in mir eingeschlagen wie eine Bombe. Es muss sich alles erst setzen. Bestimmt habe ich nicht die Absicht, meinem Sohn etwas vorzuschreiben. Ich habe mich immer sehr darum bemüht, ihn sein zu lassen wie er ist und ihm sein Wesen - so schwierig es war - nicht zu verformen. Das hat einen unendlich schwierigen Kampf mit Lehrern und allen möglichen Leuten für mich bedeutet, einmal musste ich ihn aus einem Gymnasium nehmen, weil er die Leistung komplett verweigert hat und die Lehrer ihn schon nahezu hassten.
Ganz bestimmt werde ich ihm heute nicht zwingen (wäre auch gar nicht möglich, er hat nach wie vor seinen eigenen Kopf), etwas zu tun, das nur mir zugute kommt, ihn aber einschränkt.

Was es aber nicht leichter macht für mich, mich damit zurecht zu finden, was mir nun bevor steht. Soweit bin ich einfach noch nicht. Und ob das wirklich die richtige Entscheidung auch für ihn ist - dessen bin ich mir nicht sicher. Ich weiß, wie stark sein Wille ist und wie unendlich hartnäckig er sein kann. Ob er damit nicht seine Frau völlig überfährt, frage ich mich schon ernsthaft und auch besorgt. Denn ich mag auch sie sehr gerne und sie entstammt auch einer sehr schlimmen Familie und hat daher auch nicht das größte Selbstwertgefühl. Was ich von ihm nicht sagen kann, denn er war schon immer ein Selbstdarsteller mit einem unendlich starken Durchsetzungsvermögen, das er überall für seine Zwecke eingesetzt hat. Es schmeichelt natürlich auch seinem Ego, dass er dieses Angebot bekommen hat und vor allem sein Vater hat ihm sehr zugeredet, es anzunehmen. Was ja kein Wunder ist...

Übrigens sind die Karrierepläne seines Vaters nicht aufgegangen. Er sitzt heute in einem Job, der zwar gut bezahlt wird, der ihn aber nicht befriedigt. Er hat keine weiteren Kinder mehr bekommen und eine Karrierefrau geheiratet. Wenn ich ihn hin und wieder sehe (auf der Hochzeit meines Sohnes das letzte Mal), wirkt er steif, kalt und alles andere als glücklich.

Liebe Grüße
Elena
 
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Liebe Elena,

in deine (übrigens sehr gut und nachvollziehbar geschilderte) Lage kann ich mich sehr sehr gut hinein versetzen, da sie zahlreiche Parallelen zu meiner eigenen aufweist.

Ich bewundere Dich für die Fähigkeit, Deine Gedanken so klar strukturiert zu vermitteln und dabei dennoch deinen Gefühlen Raum zu geben. Trotz Deiner momentanen Befindlichkeit wirkst Du auf mich wie eine sehr starke und ausgewogene Persönlichkeit, die sowohl das Ich als auch das Du im Auge behält.

Liebe Sandy,

auch Deine Geschichte berührt mich sehr.

Deine Worte machen Deiner Signatur - Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben (Hermann Hesse)- Ehre!

LG
Lucille
 
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