AW: Burnout-Syndrom - hat jemand damit Erfahrungen gemacht?
Burnout-Syndrom - hat jemand damit Erfahrungen gemacht?
Ja.
Es hat mich damals ziemlich ausgehebelt und lange war mir nicht klar, dass diese körperliche Reaktion die absolute Notbremse war und mir zeigen wollte, dass in meinem Leben etwas gründlich schief lief.
Richtig. Bei mir ist auch nicht plötzlich der Groschen gefallen, aber dieses Gefühl, das ist nicht das Leben das ich führen will, das ist nicht das wofür es sich lohnt zu studieren und zu ackern, dieses Gefühl war irgendwie immer da, aber ich habe es lange bekämpft.
Allerdings stehe ich durch diese nun so ziemlich chronische Erkrankung vor dem "Nichts": ich war mitten im Studium und habe mich aufrgrund meiner Probleme mehr schlecht als recht durchgequält - nun habe ich es abgebrochen, weil mir auch einfach das Geld und der Wille fehlt, es zu beenden. Von meiner Familie fühle ich mich nicht so verstanden und "gehalten", wie ich es bräuchte.
Du schreibst gerade meine Geschichte auf.
Ich habe 15 Semester studiert, wie eine blöde 30 Stunden die Woche gearbeitet um dieses Studium und meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Meine Familie war sehr stolz auf mich, weil ich IHRE Wünsche erfüllte, weil ich die Hoffnungen die sie in mich gesteckt haben nach außen hin erfüllte. Ich hatte keine eigenen Wünsche und Lebensentwürfe zu haben, mein Lebensentwurf war der die Delegationsbeauftragte ihrer Wünsche zu sein.
Nachdem ich schon in meinem Studium angefangen habe wissenschaftlich zu arbeiten und nach der ersten Veröffentlichung und begonnener Dissertation stand ich mit abgebrochenem Studium im Baumarkt an der Kasse.
Ab diesem Augenblick, als ich als angehende Frau Dr. den selben Kittel trug wie Lieschen Müller, habe ich mich befreit von den Ansprüchen welche an mir herangetragen worden sind, welche ich nicht erfüllen konnte und welche mich kaputt gemacht haben.
Das war mein Aufstieg, so zu sein, wie die anderen.
Wundere dich nicht, dass sich das System Familie wehrt und dich nicht versteht und dich nicht auffängt. Du erfüllst gerade nicht das Konzept, welches sie von dir haben. Du bist wie du bist - "meine Natur und meine Bedürfnisse" - damit sprengen wir schon mal das Konzept anderer Menschen über uns. Und das lassen sie uns dann spüren, boykottieren jegliche Unterstützung.
Von sozialen Kontakten habe ich mich irgendwann auch komplett zurückgezogen, habe also nun kaum noch Menschen, mit denen ich zusammen sein möchte - oder kann.
Mir ging es damals nicht anders und das ist auch heute nach wie vor nicht so einfach. Das ist eines der Burnout Symptome.
Ich will dich nicht entmutigen, aber ein Burnout geht nicht mal eben so vorbei.
Wir müssen auch Jahre später gut auf uns acht geben und darauf achten den Reservekanister nicht auf Null zu fahren und rechtzeitig die Alarmsignale erkennen.
Tja, ich bin 29 Jahre und stehe vor dem Nichts.
Das kenne ich sooo gut dieses Gefühl. Aber bitte glaube mir, auch wenn es dir noch schwer fällt, du stehst auf keinem Fall vor dem Nichts. Ganz im Gegenteil. Es ist eine wertvolle Zeit der persönlichen Umwandlung. Ich würde dir das nicht schreiben, wenn ich es nicht selbst und bei anderen erlebt hätte.
Hinter diesem "Nichts" steht nach einem Abstieg, sozial, beruflich wie finanziell, ein ganzes Universum an falschen Ansprüchen und Erwartungen welche an uns herangetragen worden sind und wir es uns zu eigen gemacht haben.
Hinzu kommt, dass Burnout verbrannte Erde bedeutet. Das hat eine weitreichende Bedeutung auf vielen Ebenen.
Und mir fehlt immer noch jegliche Orientierung und Kraft, um einen "gesunden" Kurs einzuschlagen.
Das ist ein weites Feld und ich könnte hier sehr viel darüber schreiben.
Soviel dazu: was mich damals gerettet hat war, dass ich eine Orientierung hatte.
Die Orientierung ist jedoch keine plötzliche Eingebung, man muss sie suchen, nach Außen und im Inneren. Das verläuft auf der menschlichen geistigen Ebene.
Die Kraft kommt auch nicht von alleine, sondern diese muss auf der materiellen Ebene, mit den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen, genährt werden.
Für mich ist diese Erfahrung eine Art Trauma udn ich habe sehr große Angst, sozial wie beruflich keinen Fuß mehr auf den Boden zu bekommen, obwohl ich alles andere als dumm und potentialarm bin.
Ich erzähle dir jetzt meine Geschichte und vielleicht bringt sie dich auf neue Gedanken.
Während der Katastrophe meines Studiums habe ich mich aus der Not heraus nach Möglichkeiten umgeschaut welche mir helfen könnten. Und ich bin nach langer Suche auf ein Handwerk gestoßen welches mir, meiner Natur zum ersten Mal geholfen und gedient hat.
Von da an begann für mich die schlimmste Achterbahnfahrt meines Lebens.
Ich wollte dieses Handwerk zu meinem Beruf machen. Doch das System - die falschen ehrgeizigen Anforderungen an mir selber und die Angst zu versagen, vor dem Nichts zu stehen, das Konzept der anderen über mich zu enttäuschen, wehrte sich über viele Jahre heftig.
Ich habe aber meinen Traum nie aufgegeben, sondern in kleinen Schritten, zT bis zum Zusammenbruch daran festgehalten und gearbeitet.
Neben meinem Studium habe ich diese Ausbildung begonnen, zunächst heimlich ohne jemandem etwas zu sagen.
Ich habe meiner Familie gegenüber ein Doppelleben geführt, Freunde hatte ich damals keine.
In dieser Zeit bin ich abgestürzt, ich hatte viele Wochen nur noch Kohle um mich von Reis und Tomatensauce zu ernähren.
Und dann hatte ich in meinem Traumjob ein Angebot bekommen. Das reichte nicht zum Überleben und ich hätte mein Studium schmeißen müssen und vor dem Nichts stehen.
Als wiss. Assistentin hatte ich ein Einkommen und einen Mentor welcher mich hin zu einer Karriere förderte. Aber ich wusste, dass ich in diesem Job eigentlich ein Taschenspieler war.
In meinem Traumberuf und in meiner anderen Ausbildung habe ich mich jedoch zum ersten Mal in meinem Leben wirklich brillant gefühlt, mein Potenzial gefunden.
Ich will dir nichts vormachen und dir Märchen erzählen. Damals, angesicht dieser Entscheidung hatte ich immer noch nicht den Absprung geschafft.
Der Absprung kam später, als ich ganz einfach nicht mehr anders konnte und tiefer als tief angekommen war. Das war einfach nur noch ein Überlebenskampf von einer Sekunde auf die andere.
Heute bin ich in dem Handwerk welches ich damals als meine Berufung gefunden habe, wo ich mich wiedergefunden habe, so wie ich bin, wo ich brillant sein darf, selbständig.
Alleine dadruch kann ich mich gerade mal so übers Wasser halten mit meine Selbständigkeit. Ich jobbe auch noch nebenher. Aber in kleinen Schritten kommt langsam der Erfolg. Ich bin richtig gut und so langsam spricht sich das rum um es kommen immer mehr kleine Aufträge.
Dennoch, das Burnout holt mich immer wieder ein. Es gibt Tage, da will mich nur noch in die letzte Ecke verkriechen. Doch dann sind da meine Kunden die auf mich warten. Und das bringt mich immer wieder auf den Teppich. Jeder Tag ist ein kleiner Kampf. Doch dann komme ich nach Hause und sage mir, wow, warst du wieder gut Mädel.
Ich will dir was sagen, freckle, von wegen Abstieg: ich treffe hin und wieder ehem. Studienkolleginnen, die keinen Job gefunden haben ob hoher Qualifikation wegen dem durch die Wirtschaftskrise bedingten Einstellungsstopp. Manche von ihnen wohnen wieder zu Hause bei den Eltern.
Vor ein paar Wochen bekam ich eine Mail von meinem ehem. Prof. und Mentor, welcher meinen Namen ergoogelt hat und meine Webseite gelesen hat. Er bat mich ihn zu besuchen. Das war eine wehmütige Reise in die Vergangenheit. Er sagte mir tatsächlich, ich sei damals viel zu klug gewesen für eine wissenschaftliche Laufbahn und dass er damals schon geahnt hatte, dass ich mich irgendwann abseilen würde. Das hat mich echt umgehauen, weil ich mich damals so nicht eingeschätzt hatte.
Ich kann dir auch noch gerne die Geschichte meines Mannes erzählen.
Aber das ist so bar jeder Logik, dass mir das wahrscheinlich keiner hier abkauft.
Nur so viel.
Als er sich vor zwei Jahren beworben hat, obwohl er wegen seinem Lebenslauf nichts bekommen hat, habe ich ihm geraten, beschönige und frisiere nichts. So wie du dich an deinen Haaren aus der Sche+++ heraus gezogen hast; das ist dein Potenzial und damit stehst du außer Konkurrenz zu den Mustersöhnen- und Töchter welche außer einem geleckten Lebenslauf sonst nichts zu bieten haben.
Und dann kam eine Einladung von dutzenden Absagen und in der letzten Vorstellungsrunde stand er dem Chef und Firmeninhaber gegenüber welcher self made ein großes und stabiles Unternehmen aufgebaut hat. Am Ende des Gesprächs fragte dieser wörtlich: "Und jetzt, lassen sie die Hosen runter! Was ist hier eigentlich los in ihrem Lebenslauf. Ich will alles wissen". Und mein Mann erzählte alles, ließ nichts aus und bekam seinen Traumjob.
Er bekommt heute die hohen Tiere als Kunden und nicht die 25 jährigen Absolventen, brave Muttersöhnchen mit dem geleckten Lebenslauf.
Was meinst du wie wir noch letztes Jahr gelebt haben? Im letzten Drecksloch von der Hand in den Mund. Es ist noch lange nicht alles paletti mit den Schulden und manchmal gibt es eben nur Nudeln mit Tomatensauce oder Kartoffeln mit Quark.
Aber wir sind stolz auf uns, weil wir _unser_ Konzept leben.
Meine Erfahrung ist, dass jedes Versagen und jeder Absturz schon die Keime in sich bereit trägt für das eigene persönlich erfolgreiche Konzept. Und dieser fängt ganz, ganz unten an, im tiefsten Sumpf.
Hanne