Migrationstrauma

Johanne

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14 Februar 2009
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Hallo liebe Leute.

Ich möchte mir hier mal etwas von der Seele reden und freue mich über eure Feedbacks und wenn möglich über eure eigenen Erfahrungen zum Thema Migrationstrauma.

Mit 11 Jahren bin ich mit meiner Mutter nach Deutschland ausgewandert, das ist jetzt über 20 Jahre her.


Das lief so ab, dass meine Mutter mich an dem Morgen geweckt hatte und meinte, heute ist es soweit, du gehst jetzt ganz normal zur Schule und verabschiedest dich von deinen Freunden und dann gehst du bei deinem Vater auf der Arbeit vorbei und verabschiedest dich von ihm und wenn ich nach Hause komme dann fahren wir zum Bahnhof.

Meine Mutter und mein Vater waren seit geraumer Zeit geschieden.

An dem Tag habe ich meinen Vater das Letzte mal gesehen. Er ist verstorben bevor ich ihn wiedersehen konnte.

*Da ich über diese Sachen noch nie so richtig gesprochen habe, merke ich gerade beim Schreiben, dass es mir schwerfällt meine Gedanken irgendwie zu sortieren, weil an dem Tag in nur so wenigen Stunden so viel geschehen ist.*

Also ich war den ganzen Tag über alleine und ich wusste nicht was ich packen sollte.

Ich weiß noch, ich habe an dem Abend meine Regel bekommen.

Das Schlimmste war, meine Mutter und ich wir lebten mit meinem Großvater zusammen und er war für mich die wichtigste Bezugsperson, da ich zu Mutter und Vater ein sehr schlechtes Verhältnis hatte.

Ich weiß nicht warum, aber meine Mutter hatte meinem Großvater nicht gesagt, dass wir an dem Tag ausreisen.

Als wir dann im Taxi zum Bahnhof fuhren, sah ich noch aus dem Auto Licht im Haus und ich wusste, mein Großvater jetzt merkt, dass wir nicht mehr da sind und wir uns die nächsten Jahre oder vielleicht gar nicht wiedersehen.
Das war ein ganz schreckliches Gefühl.

Das klingt für Außenstehende jetzt alles vielleicht etwas fremd, deswegen sollte ich hinzufügen, wir sind aus einem kommunistischen Regime damals geflohen und meine Mutter hatte Angst wir würden es nicht im Flugzeug schaffen.

Dann haben wir noch eine Woche in der Hauptstadt verbracht und meine Mutter musste sich um Formalitäten kümmern und war auch noch mit ihrem Freund beschäftigt, also hat sie mich bei einer Freundin meiner Großmutter untergebracht.

Dort bin plötzlich sehr krank geworden, ich hatte hohes Fieber.

Ich verstehe heute immer noch nicht was damals in meine Mutter vorgegangen ist, aber sie hat mich einfach abgeschoben und sich mit ihrem Freund in einem schönen Haus von Freunden einquartiert. Sie wollte wohl noch ein Mal mit ihrem Freund alleine sein. Besucht hat sie mich Tage lang nicht.

Diese Freundin meiner Großmutter welche mich damals aufgenommen hat und mich gepflegt hat, war Buddhistin und sie hat als Ärztin damals schon Akkupunktur praktiziert und mich damit behandelt. Sie hatte von einer Tibet Reise so Statuen und so Zeremonialobjekte und Bildern mit diesen Dämonengöttern mitgebracht und ich musste in diesem Raum schlafen.

Ich weiß noch, wie ich da verängstigt mit Nadeln überall zwischen diesen ganzen Statuen und Bildern da lag und nur dachte, Gott, wo bin ich hier gelandet. LOL Das war einfach nur zu schräg.

Der Witz dabei ist, dass ich heute selber Akkupunktur studiere und ich bin auch in einer buddhistischen Tradition heimisch geworden.

Ich weiß nicht ob es ein Zusammenhang gibt, aber es ist schon witzig, wie sich so Sachen entwickeln.

Aber ich war als Kind schon sehr spirituell und Jesus und der Heilige Michael und die Mutter Maria, dass waren immer so meine Freunde. Ich habe in der Kirche immer eine Kerze gezündet und mit ihnen gesprochen, was man so als Kind macht. :)

Dann kam der Tag wo ich das Flugzeug bestiegen habe und da es das erste Mal war zu Fliegen und dann so ins Ungewisse, ich war noch nie im Ausland....
ich weiß noch, dass ich das Gefühl hatte, man steckt mich in eine Rakete und man schießt mich zum Mond. :))

Ich habe heute noch immer und immer wieder diesen Traum, dass ich irgendwo zu einem anderen Planeten fliege.

Die Landung am Frankfurter Flughafen war tatsächlich eine "Mondlandung", diese ganzen Plakate und Lichter und alles so bunt. Da war so ein Obststand, Berge von Südfrüchte, sowas hatte ich noch nie gesehen.

So ist es gelaufen, zumindest habe ich jetzt einfach mal spontan die prägnantesten Errinerungen wieder gegeben

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Lange Zeit dachte ich nicht daran, dass das eine besondere Erfahrung gewesen ist.

Aber mit der Zeit habe ich schon gedacht, meine Güte, dass war schon ein sehr plötzlicher und heftiger Einschnitt.

Zudem werde ich grundsätzlich auf Reisen krank.

Und an dieser Stelle komme ich endlich zur Sache.

Mein Mann und ich wir ziehen um.

Bisher lebe ich seit 20 Jahren in der Region wo ich hier gestrandet bin und habe hier mein Zuhause gefunden.

Vor zwei Monaten ging mein Mann auf Job suche und ich mit und wir haben uns auch ins benachbarte Ausland umgeschaut und Vorstellungsgespräche gehabt.

Nun ziehen wir doch innerhalb der BRD aber einmal quer durch die Republik.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach so langer Zeit plötzlich seelisch und körperlich so heftig auf diesen Umzug reagieren würde.

Jetzt wo die Wohnung gemietet ist und der Umzugswagen bestellt, bin auch noch vor 4 Wochen heftig krank geworden und erst jetzt wird es langsam besser.

Ohne Befund, dafür mit so heftigen Kolik schmerzen und Atemnot, dass ich ins Krankenhaus musste. Die haben mich auf den Kopf gestellt und nichts gefunden.


Ich freue mich sehr über den Umzug, obwohl es schmerzhaft ist hier meine Mutter und Großmutter zurück zu lassen und ich merke, dass nochmal alles hoch kommt. Aber diese neue Stadt ist sehr reizvoll und ich habe das Gefühl, dass sie mich mit offenen Armen empfangen wird.

Ich denke, ich sollte diese ganze Geschichte mal mit professioneller Hilfe bearbeiten. Ich habe nicht gedacht, dass es mal notwendig wird, aber da ist offenbar etwas noch nicht verdaut worden.

Ich merke, ich gewinne zumindest etwas Abstand, wenn ich das hier so aufschreibe.

Ich freue mich über eure Meinungen dazu.

Liebe Grüße,

Johanne
 
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AW: Migrationstrauma

Liebe Johanne,

den ersten Schritt hast Du getan. Du hast erkannt, dass Du ein Problem hast.

Der zweite Schritt ist auch schon gegangen, Du schreibst (zumindest hier im Forum) über das, was Dich belastet.

Weitere Schritte werden folgen. Dir professionelle Hilfe zu suchen, erscheint mir sinnvoll. Mit manchen Dingen kommt man alleine nicht zurecht, da braucht man dann Hilfe.

Ich gratuliere Dir zu Deinem Mut, Dir selbst ins Gesicht zu sehen.

LG
Ahorn
 
AW: Migrationstrauma

Hallo Johanne,

man unterschätzt, was Kinder so mitbekommen und wodurch sie wie belastet werden.
Fieber und Kranksein bei Kindern ist immer ein Dagegenauflehnen - besonders vor einschneidenden Änderungen. Du erlebst es ja jetzt zum 2. Mal selbst.

Da du damals schon 11 Jahre warst, würde dir Reden bestimmt helfen.

Deine Mutter hat versucht, für dich eine Basis für ein besseres Leben als sie es hatte, zu schaffen. Das scheint ihr gelungen zu sein.
 
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AW: Migrationstrauma

Hallo Ahorn und Handwersksprofi.

Ich danke euch für eure Rückmeldungen.

Handwerksprofi, was du zu meiner Mutter geschrieben hast, hat mich zum Nachdenken gebracht.

Bisher habe ich meiner Mutter Vorwürfe gemacht.

Ich denke, es ist mal an der Zeit meiner Mutter zu sagen, dass ich ihr hoch anrechne, dass sie alles getan hat um mir ein besseres Leben zu ermöglichen.

Iregendwie habe ich das Gefühl, dass es unser Verhältniss heilen könnte, und somit auch etwas in mir heilen würde.

Mein Mann und ich packen und organisieren und gleichzeitig stellt man gerade bei so einer Umzungsaktion fest, wo die eigentlichen Freunde und verbindlichen sozialen Links eigentlich die ganze Zeit über waren.





Liebe Grüße,

Joahanne
 
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