Vater unfreiwillig im Heim

dejana

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3 August 2011
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Hallo ihr lieben!

Ich versuche meine Situation kurz zu erklären:
Vor etwa einem Jahr ist meine Mutter relativ plötzlich gestorben. Ich boin bereits Ende 20, und habe dementsprechend mein eigenes Leben. Übrig blieb aber nicht nur ich, sondern auch mein noch minderjähriger Bruder sowie mein Vater, mit dem wir nicht nur ein schlechtes Verhältnis haben, sondern der zudem noch schwer dement ist. Er hat sich in den letzten Jahren enorm viele Schulden gemacht.
Ich habe veranlasst, dass er inzwischen in einem Pflegeheim untergekommen ist - eine Tatsache die er mir wohl nie verzeihen wird. Allerdings geht es leider wirklich nicht, dass er zuhause wohnt. Mal ganz abgesehen davon, dass die mentale Gesundheit von mir und meinem Bruder darunter leidet, war er schon stark unterernährt und hatte auch mal einen Unfall, weil eben den ganzen Tag niemand zuhause ist um nach ihm zu schauen. Ich arbeite 100% und mein Bruder geht zur Schule. Ausserdem wird das Haus bald versteigert.
Nun versucht er regelmässig aus dem Heim abzuhauen und ist auch schon mal zuhause aufgetaucht. In seinem geistigen Zustand KANN er einfach nicht verstehen, dass er nicht mehr zuhause wohnen kann, auch nicht, dass wir das Haus bald nicht mehr haben. Verantwortlich dafür macht er mich (ich habe zuvor im Ausland gelebt und bin aus gegebenen Umständen jetzt wieder zurückgekommen. Seit ich zurück bin habe ich mich eben um seine Schulden etc gekümmert, d.h. er hat jetzt einen Vormund und lebt eben im Heim, was er nur als Schikane und Eingriff in sein Leben sieht).

Anfangs haben mein Bruder und ich ihn regelmässig im Heim besucht, aber das Gespräch ist jedesmal dasselbe: Wann kan ich nachhause kommen? Er droht sogar schon damit sich umzubringen.

Es macht keinen Sinn, ihm die Lage logisch zu erklären. Die Besuche machen mich und meinen Bruder total fertig. Ich habe bereits veranlasst, dass versucht wird, ihn in ein schöneres, auch Demenz-gerechtes Heim umzuquartieren.
Ich weiss einfach nicht, was ich tun soll? Auch die Tatsache, dass ich niemals ein gutes Verhältnis zu ihm hatte, und praktisch die letzten 20 Jahre nur mit ihm sprach, wenn es unbedingtr nötig war, hilft nicht wirklich.

Vielleicht hat von Euch jemand eine ähnliche Erfahrung gemacht, und kann mir einen guten Ratschlag geben, wie ich mit der Situation umgehen soll bzw. was ich tun könnte.
 
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Liebe Dejana!

Das ist sicher keine leichte Situation. Lebt Dein minderjähriger Bruder jetzt bei Dir? Wie kommt er mit der Situation klar?

Wie weit ist die Demenz bei Deinem Vater ausgeprägt? Ich kann mir gut vorstellen, dass er leidet, denn das Haus wird seine Heimat gewesen sein, eventuell auch sein Lebenswerk gewesen sein (hat er es selbst gebaut?).

Zuerst der Verlust der Mutter und dann noch das Heim verlieren...das muss ganz schön schwer für ihn sein. War er vor dem Tod Deiner Mutter bereits dement oder kam das erst durch den Tod Deiner Mutter?

Wie schätzen die Ärzte seinen Zustand ein - ist es fortschreitend oder stagnierend?

Vielleicht gäbe es die Möglichkeit, dass er bei einer Umquartierung mitreden kann, sodass er das Gefühl bekommt, sein neues Heim selbst ausgesucht zu haben.

Liebe Grüße
Reinfriede
 
Hallo Reinfriede!

Erst mal: Danke für die Antwort!

Ja mein Bruder lebt jetzt bei mir - er war der Hauptgrund weshalb ich zurückgekommen bin, da wir sonst keine Familie hier haben und ich ihn nicht alleine lassen wollte. Für ihn war es vor allem am Anfang sehr, sehr schwierig. Er war alleine mit unserem Vater, ich war nicht da, er hatte praktisch keine Bezugsperson. Dies zeigte sich indem seine Leistungen in der Schule drastisch nachliessen, er immer häufiger fehlte, und sich in der Welt der Computerspiele vergrub. Mit der Schule läuft es inzwischen besser, und ich glaube es geht ihm langsam auch viel besser. Ich habe mit seinem Lehrer zusammen veranlasst, dass er regelmässig eine Art Schulpsychologin besucht, da es mir sehr wichtig ist, dass er das Ganze verarbeiten kann. Ich weiss nicht, wie weit ich ihm damit helfen kann, da er noch sehr klein war als ich von zuhause auszog und nur begrenzt Zugang zu ihm habe (liegt wohl auch daran dass er halt ein pubertierender Junge ist - die reden ja auch nicht immer so über ihre Gefühle).
Zudem ist es für mich ja auch nicht gerade ein Zuckerschlecken und wenn ich abends von der Arbeit nachhause komme mag ich oft gar nicht mehr. In letzter Zeit schnauze ich ihn oft wegen Kleinigkeiten an - etwas was ich unbedingt ändern bzw. ihm den Grund dafür erklären muss.
ABer für mich ist es halt auch neu plötzlich "Mutter" zu sein! ICh habe zum Glück noch die Mutter meines Freundes, die für mich auch fast wie eine Mutter ist, und die mir hin und wieder Tips geben kann (lustigerweise hat mein Freund auch ein Bruder der gleich alt ist wie meiner)
Wenn ich da etwas gelernt habe: RESPEKT vor allen allein erziehenden Müttern!!!!!! Ich könnte das nicht!

Bei meinem Vater setzte die Demenz bereits vor dem Tod meiner Mutter ein, verschlechter sich seither aber dramatisch. Man kann praktisch kein normales Gespräch mehr mit ihm führen, nur noch ganz selten hat er klare Momente. Die Ärzte sagen, dass es sich wohl weiterhin verschlechtern wird, und dass er wahrscheinlich nicht mehr viele Jahre leben wird.
Mit ihm zusammen ein Heim auswählen geht ganz sicher nicht - er ist EXTREM stur und will ausschliesslich nur nach Hause. Eine Alternativ gibt es für ihn nicht. Und natürlich verstehe ich ihn, er hat es tatsächlich vor 30 Jahren selber gebaut. Aber nur weil man etwas WILL muss das eben leider noch lange nicht heissen, dass es auch GEHT. Aber wie gesagt, Logik zieht bei ihm nicht, da er diese Gedanken nicht mehr nachvollziehen kann. Dazu kommt, dass er auch sehr stolz ist und für ihn diese Situation sehr entwürdigend ist.
Wie gesagt, ich verstehe ihn, ich weiss warum er so reagiert und dass er die ganzen Anschuldigungen nicht persönlich meint. Dennoch ist es sehr, sehr zermürbend.

(Entschuldige, die Antwort ist etwas langatmig ausgefallen ;) )

Lieber Gruss,
Dejana
 
@Hallo dajana

Nach dem Tod meiner Mutter hörte mein Vater auf selbständig zu essen und zu trinken. Er wohnt heute in einem Haus zusammen mit einer Pflegerin. Zum Glück hat er eine gute Pension und es ist leistbar.
Wir konnten die Pflege zusammen ungenügend durchführen aufgrund der Entfernung bzw. entsprechendem Zeitmangel, da ich auch berufstätig bin. Ich habe aber gerade in den letzten Jahren einen besonderen Bezug zu meinem Vater bekommen. Aufgrund seiner Demenz entwickelte er eine andere Sprache und andere Ausdrücke für Gegenständ, doch ich verstehe seine Sprache, ich weiss was er meint.
Er ist ähnlich stur und er würde in einem Heim ähnlich sich wie dein Vater verhalten.

Von der Persönlichkeit her hat er vergessen, dass ich arbeite, manachmal welcher Wochentag ist und versteht nicht warum ich nicht jeden Tag bei ihm sein kann. Aber immerhin er weiss wo sein zu Hause ist.
Interessanterweise weiss er dann genau wo und wie so wie dein Vater. Ich hab oft das Gefühl, die Sachen, die für ihn wichtig sind die merkt er sich.

Es helfen keine Erklärung, falls ist es nur kurzfristig, sie sind meist am nächsten Tag vergessen. Dein Vater versteht nicht dass er ein Pflegefall ist, meiner hat es auch lange Zeit nicht verstanden. Manchesmal versteht er es ein wenig, dann ist er froh, dass er wem hat und er versorgt ist. Von der Persönlichkeit her wird er deinen Vater ähnlich sein, neue Kontakte würden ihm nicht mehr interessieren, es interessiert ihm nur sein zu Hause.

Der Stolz verbietet das Einsehen, ein Pflegefall zu sein, ich versteh es aber, ich würde ein Pflegeheim nur mehr als entwürdigend sehen, wenn ich es mitbekomme, ich brauche Menschen die mich pflegen.

Das Ganze ist sehr hart für dich, er versteht deine Situation nicht und wird sie auch nie wieder verstehen können.
Eigentlich habe ich keinen Tipp für dich. Er wird dich nie wieder verstehen können, was du bist, was und warum du es machst, warum er nicht zu Hause sein kann. Ihr könnt nur hoffen, dass noch der Tag kommt, wie es bei mir war, wo der Vater doch es genossen hat und einsichtig geworden ist, ja ich brauche wem der mich pflegt.

Es ist hart, denn er ist euch nicht egal, sonst würdet ihr nicht bei ihm sein und nie zu ihm kommen. Vielleicht findest du einen Draht auf einer ganz anderen Ebene mit ihm, einer ganz anderen inneren Welt die du mit ihm teilst. Die Welt eines Demenzkranken ist wie die eines Kindes, es ist für mich manchmal auch wunderbar seine Welt mit ihm zu teilen und staune oft wie er die Welt sieht.

lg
Ritter Omlett
 
Lieber Ritter Omlett

Vielen lieben Dank für reine Antwort, deine Worte haben mich sehr berührt. Ich finde es wirklich schön & bewundernswert, dass du dennoch eine solche Beziehung zu deinem Vater hast und so verständnisvoll bist. Die meisten Leute meinen nur "aber es ist doch dein Vater", und können nicht verstehen, wieviel Kraft es braucht, sich mit dieser Krankheit und der dadurch bedingten Veränderungen die der Betroffene durchmacht, auseinanderzusetzen.

Ich war gerade heute wieder bei ihm. Es stimmt, er merkt sich irgendwie nur noch, was für ihm essentiell ist. Was bei uns ein bisschen erschwerend ist, ist, dass ich niemals ein gutes Verhältnis zu ihm hatte. Aber aus irgendeinem Grunde geschehen die Dinge wohl so wie geschehen. Nach so langer Zeit zwingt mich das Leben jetzt, mich mit ihm zu "beschäftigen" und irgendwann bin ich wahrscheinlich dankbar darum.

Es ist halt nur manchmal alles ein bisschen viel, weil bei mir alles gleichzeitig passiert ist (das mit meiner Familie ist längst nicht alles). Aber solche schwarzen Zeiten lasse einen auch wachsen und sich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zurück besinnen.

Übrigens hat mir kürzlich eine Krankenschwester erzählt, dass sie sieht, dass sehr viele von Alzheimer oder schwerer Demenz betroffene Menschen schwere Verluste oder andere einschneidende Erlebnisse durchmachten, oft alleine sind und diese Krankheit eine Art Schutzfunktion des Körpers sein kann.

Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und alles Gute!
D
 
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@Liebe dejana

Auch dir wünsche ich viel Kraft. Ich glaube, dass es gar nicht mehr die grosse Rolle spielt, wie das Verhältnis vorher war. Vielleicht spürst du, dass Zeiten gekommen sind, wo du auf die Vergangenheit keinen Wert mehr legst. Ich hatte früher auch nicht so ein besonderes Verhältnis zu meinem Vater, soll ich ihm jetzt deshalb im Stich lassen? Ich bin jetzt schon dankbar, dass ich diese Zeiten in aller Gesamtheit erlebe.

Eltern wollen sicher immer das Beste. Jeder tut es auf seine Weise. Dein Vater hat dich vermutlich oft verletzt, sag ich mal auf Verdacht, dennoch wollte er das Beste für dich, aus seiner Sicht was er so machte.

Klar er versteht die Welt nicht mehr, es ist nicht sein zu Hause und du kannst es ihm nicht geben, denn du hast schon so mehr als genug Verantwortung.

Demenz ist eine eigene Welt, sie sieht ganz anders aus, eine Autofahrrunde wird zu einer Reise von tausenden Kilometern für einen Demenzkranken. Ein Haus das mit Farben gestrichen ist, ist ein Schloss.
Für deinen Vater ist es sein zu Hause, dass kennt er, alles andere versteht er nicht, oder, will es nicht verstehen.

Also in diesem Sinne, viel Kraft für dich und es ist viel Gutes dran, obwohl es jetzt belastend erscheint, vielleicht kommst du ja zwischendurch etwas zu Ruhe, wirst sehen, auch solche Zeiten werden wieder für dich kommen.

lg
 
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